Siedlungsgeschichte
Seit wann erstmalig Höhlenwohnungen in Kappadokien genutzt wurden, läßt sich aufgrund fehlender konzentrierter Forschung kaum mit Sicherheit ermitteln. Kappadokien ein Gebiet, das schon im frühen Neolithikum, also bereits 7000 v. Chr., ein bedeutsames Kulturzentrum darstellte. Siedlungsfunde westlich von Kappadokien, aus Çatalhöyük bei Konya und aus Aþýklý Höyük nahe Aksaray lassen darauf schließen, daß das Tuffgebiet von Göreme bereits zu dieser Zeit bekannt gewesen ist.
Seit der späten Bronzezeit, etwa der Zeit um 1600 v. Chr., blühte in Zentralanatolien die Kultur der Hethiter, welche ein halbes Jahrtausend großen Einfluß auf die umliegenden Völkerschaften ausgeübt haben. Obwohl auch die Hethiter mancherorts Höhlenräume aus dem Fels gestalteten, finden sich doch aus dieser Zeit noch keine eindeutigen Beweise für eine Höhlenkultur in der Region Göreme. Nach 1200 v. Chr. kam es im Zusammenhang mit dem Einbruch der Seevölker zu Völkerbewegungen in Kleinasien, aus denen dann in Zentralanatolien die Phryger als politische Macht hervorgingen. Manche Vermutungen besagen, daß bereits zu jener Zeit gewaltige unterirdische Stadt- und Verteidigungsanlagen mit mehreren Stockwerken und labyrinthartigen Zugängen, welche hermetisch gegen äußere Einwirkungen verschlossen werden konnten, als Bollwerk gegen die nach Zentralanatolien eindringenden Assyrer geschaffen worden seien.
Tatsächlich wären jene Anlagen aufgrund eigener Brunnen und Vorratsräume, sowie eines ausgeklügelten Belüftungssystems für solch eine Funktion sehr geeignet gewesen. Aber auch zum Schutz vor Feuer, etwa bei den zu jener Zeit konstanten Bedrohungen durch die Vulkane Erciyes Daðý und Hasan Daðý, hätten solche unterirdischen Höhlenanlagen gute Dienste leisten können.
Als dann in späterer Zeit zunehmend Truppen des aufblühenden Archämenidenreiches in dieses Gebiet eindrangen, entstanden auch in dem Vulkangebiet um den Erciyes Daðý parsische Magiergenossenschaften, die Feuerdienste leisteten und Opfer in Höhlen darbrachten.
Die eigentliche Phase einer intensiven Besiedlung der Region Göreme setzte im ersten nachchristlichen Jahrhundert ein, als Askese übende und Einsamkeit suchende christliche Eremiten aus den von dem Apostel Paulus christanisierten Caesarea in die unzugänglichen Täler von Göreme zogen, um dort ein gottgefälliges Anachoretenleben zu führen. Es dürften jedoch nur wenige gewesen sein, die einsam in den weitläufigen und unzugänglichen Tälern auch die Anfänge des später hochkultivierten Gartenbaus begründeten. Diese frühen Eremiten werden sich aller Wahrscheinlichkeit nach nahe von Süßwasserquellen ihre bescheidenen Höhlenklausen gegraben haben. Ihnen lag der Gedanke an Verteidigung und Schutz vor feindlichen Überfällen noch fern, und daher wurden diese einfachen Behausungen ohne Schutzvorrichtungen angelegt.
In den folgenden Jahrhunderten kamen dann immer mehr christliche Gruppen aufgrund der Neuordnung der Kirche in Caesarea unter den Kirchenvätern Basilius dem Großen, Gregor von Nyssa und Gregor von Nazianz nach Göreme, um dort ein mystisch orientiertes Leben zu führen. Damit begann nun auch die Zeit der Klostergemeinschaften, und die Epoche der Einzelaskese ging ihrem Ende zu.
Seit 574 n. Chr. fielen verstärkt persische Gruppen ein und eroberten im Jahr 605 die Stadt Kaisareia. Somit gewann ein neuer Aspekt der Siedlungsweise der Christen an Bedeutung. Immer mehr Glaubensbrüder aus den umliegenden Regionen flüchteten ins Gebiet um Göreme. Die Höhlenanlagen wurden nun unter verteidigungsstrategischen Gesichtspunkten konzipiert, wobei viele Höhlenräume mit verschließbaren Tunneln und Fluchtschächten ausgestattet und neue unterirdische Depots und Zisternen angelegt wurden. Wahrscheinlich stammt auch ein Großteil der oben erwähnten unterirdischen Stadtanlagen in ihrer jetzigen Form aus dieser Zeit. Viele dieser Höhlenanlagen waren untereinander weitläufig verbunden, so daß fremde Eindringlinge kaum eine Chance gehabt haben dürften, die sich dort verbergenden Menschen zu überwältigen oder gar durch eine Belagerung zur Aufgabe zu zwingen.
Als um 642 n. Chr. auch arabische Gruppen in das Gebiet eindrangen, blieben die Fluchtanlagen weiterhin von aktueller Bedeutung. Doch auch während des sogenannten großen Bilderstreits 726-842 n. Chr. war ein unauffälliges Wohnen in den abgelegenen Höhlen ein wichtiger Schutz für Mönchsgemeinschaften, deren religiöse Überzeugung von der herrschenden Meinung abwich. So lebten drei Jahrhunderte lang christliche Glaubensgruppen, häufig auf Tarnung und Verteidigung bedacht, in speziell für diese Zwecke konzipierten Höhlenbehausungen.
Ein ebenfalls wichtiges Element dieser byzantinisch-christlichen Höhlenkultur ist die in ihrer Art einmalige Erschaffung der kunsthistorisch bedeutsamen Höhlenkirchen, die Elemente der byzantinischen Sakralarchitektur mit denen der Höhlenbauweise verband. Diese Höhlenkirchenarchitektur gehört zu den bekanntesten und am besten erforschten kulturellen Zeugnissen von Göreme. Sie ist einer der Hauptgründe für das seit Jahren zunehmende touristische Interesse an dieser Region. Schon gegen Ende des vierten nachchristlichen Jahrhunderts entstanden die ersten dieser Höhlenkirchen, die in den folgenden Jahrhunderten vom Stil der verschiedenen Arten der byzantinischen Sakralarchitektur geprägt wurden.
Meist sind diese Höhlenkirchen nach einem kreuzförmigen Grundriß angelegt, haben eine oder mehrere Kuppeln, Tonnengewölbe oder Flachdecken, Formen, die häufig miteinander kombiniert werden. Oftmals wurden sogar Altar, Taufstein, Fresken, Säulen und Sitzbänke aus dem Fels geschlagen.
Es bildete sich in Göreme kein eigener Kirchentyp heraus, jedoch sollte die Variationsbreite der verschiedenen Zwischenformen von einfacher Höhlenbauweise und statisch unbedeutender Kuppel- und Säulengestaltung erwähnt werden, die sich nur in solch einer Höhlenbauweise herausbilden konnte.
Mit Beginn des achten Jahrhunderts wurden viele dieser Höhlenkirchen mit einfachen geometrischen Mustern und später durch hochentwickelte Freskenmalereien ausgeschmückt, die bis heute vielfach erstaunlich gut erhalten sind, sofern sie nicht durch Menschen mutwillig zerstört wurden. Alle Kirchen und Kapellen sind in ihrer Art und Größe Beispiel für die Zweckorientiertheit dieser Sakralbauten, wobei größere und reichere Klostergemeinschaften größere und üppigere Höhlenkirchen gestalten konnten als kleinere Gruppen einzelner Mönche.
Das Jahr 1071 stellte durch die Schlacht von Manzikert, in der die aus Zentralasien über Persien eindringenden Seldschuken unter der Führung von Arp Arslan die byzantinischen Truppen des Kaisers Romanos IV vernichtend schlugen, einen entscheidenden Einschnitt in der Geschichte Anatoliens dar. In immer neuen Schüben drängten diese türkischen Gruppen nach Anatolien und konnten so ihren Einfluß auf Kleinasien letztlich ungehindert ausbreiten. Obwohl die Seldschuken in Glaubensfragen als toleranter galten als die in den Jahrhunderten vorher eingedrungenen Perser und Araber, war damit doch die Blütezeit des Cristentums in den Hochtälern Göremes zu Ende; viele der dort lebenden Mönche zogen nach Westen, um dort neue Klostergemeinschaften außerhalb des islamischen Herrschaftsbereich zu gründen.
In der Folgezeit verfiel die christliche Kultur in Göreme immer mehr. Statt der Klostergemeinschaften bewohnten nun christliche Bauern das Gebiet von Göreme, die sich im Laufe der Jahrzehnte mit zuwandernden griechischen und armenischen Christen mischten.
In Folge einer mongolischen Invasion unter Güyük, einem Enkel Tschingis Khans, im Jahr 1243 wurde das seldschukische Reich geschwächt, und andere türkische Dynastien konnten ihre Macht ausdehnen. Um die Wende des Jahres 1300 begann die Epoche der Osmanen; das neue Reich festigte sich. In den folgenden Jahrhunderten wurden viele der vorher nomadisierenden Gruppen seßhaft, so auch in den Tälern von Göreme. Die Türken übernahmen teils die alten leerstehenden Höhlenwohnungen abgewanderter Christen, wandelten diese ihren Bedürfnissen entsprechend um, bauten eigene Wohnhöhlen oder gliederten neue Hausfassaden an die ehemals unauffälligen oder getarnten Behausungen an. So entstanden Haus-Höhlen-Agglutinate, wobei Stilelemente der sich sonst in Kappadokien entwickelnden Haustypen in ihre Bauweise übernommen wurden.
Diese Konzeption der Wohnweise unterschied sich wesentlich von der der Christen. Während letztere über Jahrhunderte ein enges Miteinanderleben in klösterlichen Gemeinschaften pflegten, wobei viele der Räumlichkeiten als Durchgangsräume konzipiert waren, bildete für die traditionellen Türken ein jedes Zimmer eine Einheit für sich, welche nur von außen her zugänglich und niemals mit einem Nebenraum verbunden war. In der Folgezeit lebten dann jahrhundertelang christliche und moslemische Gruppen in den selben Ortschaften, wenn auch in separaten Ortsvierteln, nebeneinander.
Nach dem türkischen Freiheitskrieg verließen in Folge des griechisch-türkischen Bevölkerungsaustausches 1923 die letzen orthodoxen Christen ihre Höhlenwohnungen in Göreme und zogen nach Westen. Hiermit endete die Zeit der christlichen Besiedlung Göremes nach ca. 1850 Jahren. Seitdem leben fast ausschließlich Türken in Göreme.
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